Texte
Wolfgang Siano – Ent-Täuschung
Das Sichtbare der Dinge erscheint als Illusion ihrer Materialität
sowie als Gestalt ihrer Formen, die den Raum in der Fremdheit
gegenständlicher Illusion durchschneiden.
Man sieht sie, aber man hat sie nicht. Ka Bomhardts
Arbeiten fragen nach der Realität dieser Illusionen, nach
der Materialität ihrer anschaulichen Präsenz, und sie
vergegenwärtigt sie in der Unmittelbarkeit ihres Malmaterials,
den reinen Pigmenten selbstgefertigter Pastelle.
Die Übertragung der Pigmente in die Fläche, greifbare
Aneignung der Farbe als Lichtmaterie, vermittelt die
Projektion der Dinge durch die abstrakte Gegenständlichkeit
der Farbe als Gestalten ortloser Projektionen.
Die daraus resultierenden perspektivischen Sprünge
thematisieren das Vorher-Nachher fokussierender Projektionen
als irritierende, unwirkliche Gleichzeitigkeit
von Illusion und Realität; sie entwerfen das Bild einer
dynamischen, durch die Vorstellung der Dinge in sich
selbst reflektierten, aufbrechenden Raumkontinuität.
Die „Säule“ macht den prozessualen Ablauf dieser Reflexionen
unmittelbar anschaulich. Wie in einem Vexierbild
tritt, je nachdem, wie man die Gestalt der Formen fokussiert,
entweder die tragende Säule einer ausschnitthaft
abgebildeten Balustrade in den Vordergrund oder zwei
aus deren Negativform abgeleitete, kopfüber dargestellte
Vasen. Der Nähe der Vereinzelung, die die „Säule“
als isoliertes Element der Balustrade vergegenwärtigt,
entspricht die Weite des Raums, den sie durchschneidet;
diese Weite wiederum erscheint als Oberflächenausdehnung
der Vasen, deren unsichtbare Tiefe sich in der
Weite wie in einem kosmischen Dekor der Vasenformen
reflektiert.Balustrade und Vase werden Spiegel einer imaginären
Entgrenzung der Realität, die die fiktive Geschlossenheit
piranesischer Weiten erzählerisch konterkariert. An den
Grenzen der Dinge, ihren Flächen und Konturen, schlagen
die Projektionen um; auf diese Weise entwirft Ka
Bomhardt ein Spiel von Täuschung und Enttäuschung als
ironische Überschreitung gegenständlicher Gewissheit.
Die Diskontinuität des Raums, die die Schnitte zwischen
Illusion und Realität markieren, ermöglicht eine Folge
assoziativer Sprünge, aus denen sich, wie aus einer Poesie
der Verkehrungen, eine eigene, erzählerische Kontinuität
der Dinge bildet. Solche Ent-Täuschungen, wie sie
für die Bilder Ka Bomhardts konstitutiv sind, erweisen
sich als reflektierte Mittel einer optimistischen Strategie.
Wolfgang Siano
Interview mit Ka Bomhardt - Ein X für ein U
Ein X für ein U
Aus einem Gespräch von Ka Bomhardt mit Wolfgang Siano, Berlin 1996
WS: Als du die Möglichkeit erhalten hast, in Karlsruhe auszustellen, hast du gesagt, du möchtest einen richtigen Raum machen.
KB: Ja, ich hatte mir vorgestellt, in den Ausstellungsräumen ein zusammenhängendes Interieur zu entwickeln. Mich hat die ldee fasziniert, nicht eine Arbeit neben die andere zu hängen, sondern sie ineinandergreifen zu lassen. Analog zu meiner Arbeitsweise überhaupt.
WS: Im Unterschied zu bestimmten Arbeiten der Pop-Art führen deine Rauminszenierungen ja durch die Selbstthematisierung der Realität hindurch und thematisieren die Bildidee selbst als mehrdeutige Realität.
KB: Ich empfinde das so, als hätte ich einen Apfelbaum gemalt und hätte die Äpfel dann gepflückt. Wenn man sich vorstellt, man würde etwas träumen, ginge dann im Traum los und stieße gegen die Gegenstände, die man erträumt hat, weil sie plötzlich da sind. So, wie man als Kind spielt, und ein Erwachsener kann nicht nachvollziehen, worin das Kind sich hineindenkt; es spielt „Kaufmannsladen" und verkauft Dinge, die gar nicht sichtbar sind.
WS: Sind die Tatsachen denn dasselbe wie die Wahrheit?
KB: Ist ein Mord eine Tatsache, ohne daß er bekannt ist? Mich interessiert, daß es einen Täter gibt, der eine Leiche produziert hat, und wenn man das nicht weiß, die Tatsache aber trotzdem existiert.
WS: Daß es Tatsachen gibt, unabhängig von dem, was du weißt?
KB: Richtig, daß es das wirklich gibt; egal, ob du das glaubst oder nicht, das hat wirklich stattgefunden.
WS: Die Tatsache, daß es eine Tatsache gegeben hat, muß also nicht gewußt werden, um Tatsache zu sein.
KB: Wenn du dem Augenschein nach denkst, daß die gezeichnete Lampe eine reale Lampe wäre (siehe Umschlagabb.), dann frage ich mich, wie wichtig ist das? Wenn sich etwas anfühlt, als wäre es real, dann ist es auch real; dann ist es wie im Spielzimmer. Das ist die Möglichkeit des Beschisses am Glauben, aber es funktioniert streckenweise; darin steckt auch ein Enttäuschungsmoment.
WS: Enttäuschung über die Illusion oder über die Tatsache?
KB: Das kann man gar nicht trennen. Der Moment der Unsicherheit ist der beste Moment. Das ist das Schweben auf der Strecke zwischen mir und dem, was da ist.
WS: Was ist der Unterschied zwischen dem, was du machst, und dem, was Magritte macht?
KB: Ich male ja keine Piepe. Mir geht es weder um das trompe l'oeil noch darum, das Begriffliche des Bildes darzustellen oder aufzubrechen. Ich sitze dazwischen und schaue, was passiert da? Wenn ich das Licht der Lampe anmache und den Schatten male, habe ich eine Gleichzeitigkeit, die es so eigentlich nicht gibt, und das passiert auch bei der
Paneel-Arbeit (siehe Abb. S. 12-14). Ich stehe dem Paneel gegenüber, und in meiner Wahrnehmung entsteht ein Bild, das ich als kleines über das Paneel hänge. In dieser Wiederholung (oder Erinnerung) wird die Gegenüberstellung (oder Spiegelung) auf eine Fläche projiziert und das Gesehene als Bild thematisiert. Ein weiteres kleines Bild eines imaginären Gegenstandes im Raum davor oder dahinter ist eingereiht und läßt das Bild der Paneele zu einem Raumschnitt werden.
WS: Ist die Irritation, die dabei entsteht, eine Absicht deiner Arbeit?
KB: Ja. Je länger du ein Ding ansiehst, desto weniger bist du davon überzeugt, daß es dieses Ding ist. Du projizierst, und in der Projektion werden die Dinge zu Zwitterwesen; sie haben Bezug zu sich selbst und verschieben sich zu etwas anderem.
WS: Ist das bedrohlich oder macht das Spaß?
KB: Es ist wie bei Rotkäppchen, das vom Waldweg abkommt, um im Dickicht Blumen zu pflücken. Ich glaube, man muß da rein. Die Irritation ist absolut real, und es stellt sich dann die Frage nach der Orientierung: wie stelle ich meinen Kompaß ein, was ist wahr, was ist falsch?
WS: Ist das ein Spiel oder Ernst?
KB: Es ist eine Kombination aus Spaß und Schrecklichkeit. Es ist die Frage nach Einschätzungen und Bewertungen. Nach Orientierungen und Einordnungen. Im Alltag leben wir in Maßstäben und Systemen, damit wir irgendwie klarkommen. Das ist, als würde jemand im Meer einen Zaun ziehen, damit er überleben kann.
Das hat etwas mit den kleinen Sachen zu tun: es ist, als würde ich mich, um die Distanz zu haben, ins Weltall katapultieren, um zurückzugucken.
WS: Du meinst jetzt den Papptisch mit den Modellen drauf (siehe Abb. S. 19). Die Verkleinerung verschafft dir eine Übersicht? Was auf der einen Seite Irritation ist, ist auf der anderen Seite die Möglichkeit der Übersicht?
KB: Der Papptisch stellt in erster Linie eine Distanz her, in zweiter eine Irritation, weil ich auch einen richtigen Tisch hätte nehmen können; dadurch, daß er und wie er aus Pappe ist, entsteht eine Distanz dazu.
WS: Kann man von daher nicht auch sagen, daß das, was Irritation herstellt, im Ergebnis auch Distanz schafft? Irgendwie stellst du mit deinen Sachen den Betrachter doch in einen Raum, in dem weder das eine noch das andere stimmt.
KB: Ein X für ein U!
WS: Ja, wo du jemandem ein X für ein U vormachst.
KB: Die Irritation hat die Distanzbildung nicht unbedingt zum Ziel, aber doch zum Ergebnis. Was mich interessiert, ist die Selbstverständlichkeit, mit der die Dinge zusammenkommen können, so daß Situationen entstehen, die nicht inszeniert, sondern dadurch alltäglich sind, daß Dinge neben Arbeiten stehen und diese wiederum neben anderen Arbeiten usw. Ganz ähnlich, wie die 'Interieur mit Waschbecken '-Arbeit in der Kunsthalle Moabit aus einem situativen Zusammenhang entstand (siehe Abb. S. 7).
WS: Du stellst also gewissermaßen Versuchsanordnungen her für das Bewußtsein des Alltäglichen.
KB: Ja, das klingt gut. Wenn ich einen Heizkörper zeichne (siehe Abb. S. 10), dann ist das ein Gegenstand, der überall rumhängt...; aber es geht mir nicht darum, daß jetzt über den Heizkörper nachgedacht werden soll. Wenn ich mir den in einer Ausstellung vorstelle, so als Hintergrund, dann wird er ja eher zum Zitat; ich würde ihn immer im Zusammenhang sehen; er wird zum Teil dessen, was sich mir dort als Bild darbietet. Ich möchte es gar nicht Installation nennen; eigentlich habe ich die Objekte ja nur aus dem Bild herausgenommen, sie sind einerseits nichts anderes als das, was in den Bildern stattfindet, andererseits ...
WS: Und was findet in den Bildern statt?
KB: Die Begegnung mit den Grenzen, die durchbrochen werden, so daß es hinter oder neben den Bildern weitergeht. Der Pappspiegel z. B. (Abb. S. 19) tut mit der Summe der anderen das, was jede andere Arbeit für sich tut. Und zwar nicht nur das Hereinholen einer Bildwelt in die Realität, sondern gleichfalls das 'Wegdrücken' der Realität in die Bildwelt.
WS: Du stellst also die Dinge als sich selbst oder sich gegenseitig bespiegelnde dar. Wenn du eine Spiegel(Bild)-Rückseite mit einer Glasscheibe abdeckst (siehe Abb. S. 17), hast du den Spiegel oder das Bild gegen die Wand gehängt, und in der Glasscheibe spiegelt sich der Raum, gegen den das Holz der gemalten Rückseite gerichtet ist. Der Raum vor der Wand thematisiert den Raum im Spiegel oder dem Bild, die der Wahrnehmung abgewandt sind. Du öffnest den Raum für die Imagination des Betrachters.
KB: Bei den Zigarren (siehe Abb. S. 11) wird das Bild mittels Spiegelung in den Kasten katapultiert - oder umgekehrt; es fragt sich, was ist zuerst da? Was ist die Ursache, was die Wirkung? Es entsteht eine Verwirrung. Ich versuche eine Defunktionalisierung von Gegenständen, wobei der Bruch zwischen Illusion und Wirklichkeit, die Ent-Täuschung mit dargestellt wird.
WS: Gibt es Chaos bei dir?
KB: Meine Notizbücher sind voll von Chaos, und die Bilder sind vielleicht die Spitzen, die da rausragen, weil Entscheidungen getroffen werden müssen.
WS: Die Bilder sehen zunächst sehr klar aus.
KB: Ja, der Schein der Klarheit kommt da zum Tragen, aber in Wirklichkeit ist der Vorhang (siehe Abb. S. 19) ja nicht zur Seite geschoben - das Chaos dahinter ist verdeckt.
WS: Dahinter ist noch was los?
KB: Das hoffe ich doch, das ist doch das, was ein Vorhang thematisiert: das, was man dahinter nicht sehen kann. Das Schönste ist, neben die Mitte zu zielen.
Wolfgang Siano - Interieurs
INTERIEURS
Daß die Innenwelt zugänglich werde wie die Außenwelt, ist die Option einer Strategie grenzenloser Verfügbarkeit eineindeutiger Relationierungen von abbildlicher Wirklichkeit und gegenständlicher Realität. Die Virtualität eines Inwendigen, das nicht nur die unwirkliche Verschlossenheit der Außenwelt in homogener Abbildlichkeit simuliert, führt zur Befreiung aus der Immanenz der Bilder; das Überschaubare, die Ruhe des Privaten, die das ,Interieur' als kunsthistorischer Begriff benennt, wird durch die bildliche Partikularisierung abbildlicher Topoi - der Tisch, das Tuch, das Kästchen, die Lampe - gegenüber der inneren Kontinuität der sprachlichen Einheit des Begriffs in eine gegenläufige Relation zur tradierten Vorstellung gewendet. Im Zwischenraum dieser Bezüge wird die Außenwelt durchsichtig auf eine eigensprachlich sich assoziierende Innenwelt und darin durchgängig erfahrbar in der materialen Evidenz ihrer reflexiven Oppositionen.
Die blaue Blume ist ein rosa Gänseblümchen. Befreite Sprache erhebt Einspruch gegen die gegenständliche Wirklichkeit ihrer abbildlichen Entsprechungen, schafft bildsprachlichen Eigensinn, der die divergierenden Fluchten von Innenwelt und Außenwelt in verkehrter Perspektive aneinanderstoßen läßt, so daß sie in der Indifferenz der Projektionsflächen eine verrückte Kontinuität von Funktionsraum und Bildraum inszenieren. Tischplatte und Bildrahmen überschneiden sich in der begrifflichen Ununterscheidbarkeit von Schnitt oder Kante und geben darin dem Kunststück der statischen Unmöglichkeit eines schwebenden Tischs gleichermaßen realen wie metaphorischen Halt. Die Komparserie eigensprachlicher Gegenständlichkeit folgt den dramaturgischen Anweisungen mimetischer Intentionen: die Anthropomorphisierung funktionslos gewordener Tischbeinkurvaturen verhält deren Spannung in der Latenz von Greifbewegungen eines affenartigen Gebildes.
Die Vorstellung der Gegenstände bestimmt den materialen Ausdruck ihrer abbildlichen Realität. Die Wirklichkeit des Bildes und das gegenständliche Abbild spiegeln sich in der Farbrealität des Pigments. Die Inversion der Empfindungen hautiger Nähe gibt den Dingen ein Licht aus eigener, pastelliger Wirklichkeit und bricht darin die Erfahrung sinnlicher Unmittelbarkeit in leibhafter Distanz. Die Haut der Dinge beschwört die körperliche Kontinuität des Interieurs in der bildlichen Abfolge gegenständlicher Empfindungseinheiten; ihre Schnitte markieren die Sprünge zeitlicher Dissoziation; die konstruktive Einheit des Bildes weist durch sie über sich hinaus. Wo die Haut der Haut unmittelbar im Bild erscheint, wird sie zur Maske der Nähe durch beschleunigende Vergrößerung. Der Körper des Kästchens, das diese Bewegung innehält, ist durchglüht vom Kunstlicht magischer Verheißung; sein schwebender Deckel inauguriert die Erzählung von der Virtualität seines Innenraums.
Wolfgang Siano
Dieter Rahn - Memories
Eröffnung der Ausstellung „Memories“ von Ka Bomhardt
20. April 2007 im charlier, Kyffhäuser Str. Berlin.
Rede von Dieter Rahn.
Bei meinem Besuch im Atelier von Ka Bomhardt – vor etwa drei Wochen – standen bereits einige Bilder an der Wand, die für die Ausstellung hier im charlier vorgesehen waren. Sie standen unten auf dem Boden, sie waren nicht aufgehängt. Das ist für eine Ausstellungssituation nicht weiter verwunderlich – aber im Verlauf unseres Gesprächs gewann ich den Eindruck, dass sie Bilder überhaupt nicht gern an die Wand hängt. Irgend etwas stört sie an der Wand, etwas, was das Zusammenkommen von Bild und Wand äußerst kritisch werden lassen kann.
Aber – und das wurde bald auch deutlich – es ist nicht die Wand allein, an der sie sich stößt. Es gibt auch etwas an den Bildern, das ihr Widerstand bietet und sie immer wieder herausfordert. Da ist vor allem das Empfinden: die Bilder seien zu verschlossen, wie verriegelt, nicht betretbar. Hat man z.B. – wie ein Kind – das Bedürfnis, eines der Dinge im Bild anzufassen, dann geht das nicht. – Das also scheinen Wand und Bild für Ka Bomhardt zunächst gemeinsam zu haben: ein stark abschließendes Moment, sie sind unzugänglich – und schwer.
Sie hat deswegen auch immer wieder Raum-Installationen geschaffen, Installationen in denen die gewohnte Zuordnung von Wand und Bild irritiert wird. Oft ist in diesen Installationen nicht erkennbar ob etwas tatsächlich Wand oder ob etwas Gemaltes ist. Immer ist Ka Bomhardt versucht, einen Raumcharakter einschneidend zu verändern, den gewohnten Eindruck durch eine Umgestaltung der Wand völlig umzuwerfen.
Auch hier war ein Gedanke, den Raum hinten schwarz zu streichen, damit die Bilder blitzartig nach vorne kommen, anstatt in sich zu verschließen. Sie hat in früheren Arbeiten mit Spiegelungen bearbeitet, sie hat sogar Dinge, die im Bild dargestellt waren, als Objekt vor das Bild gesetzt, quasi zum Anfassen. Alles, um das verschließende, schwere Moment von Wand und Bild zu durchbrechen. Auch wenn hier keine Installationen aufgebaut sind, Sticheleien gegen die Wand finden sie hier trotzdem, einfach darin, wie die kleinen Bilder neben den großen gehängt sind.
Ich möchte Ihnen heute abend Gedanken vortragen, die um eine Bemerkung kreisen, die K.B. bei meinem Atelierbesuch gemacht hat. Sie hat diese Bemerkung eher so nebenher gemacht. Aber ich denke, dass sich von ihr her etwas von dem erschließt, was in diesen Arbeiten geschieht – was es etwa mit der angesprochenen Verschlossenheit der Bilder auf sich hat. Man muß in dieser Bemerkung natürlich auch einen gewissen Schalk mithören, der sie immer begleitet: mit einem verschmitzten Lächeln sagte sie (auf das Bild deutend, das Sie von der Einladungskarte her kennen und im anderen Raum sehen konnten): Ich möchte gern wissen, was in dem Kästchen ist.
Ich möchte gern wissen, was in dem Kästchen ist. – Sie, die dieses Bild gemalt hat, äußert einen solchen Wunsch! Mein verdutztes Gesicht hat leider nur sie gesehen, ich hätte es auch gern gesehen. Wenn sie gern wissen möchte, was in dem Kästchen ist, so dachte ich mir, hätte sie es doch in der Hand gehabt, den Deckel aufgeklappt zu malen und alle möglichen Schätze vor den Augen des Betrachters auszubreiten.
Hätte sie es in der Hand gehabt? In gewisser Weise schon – natürlich hätte sie sich darauf versteifen können: ich male ein geöffnetes Kästchen und breite den Inhalt davor aus. Aber würde sie selbst dann, am Ende, wenn das Bild fertig ist und sie davor stände, nicht doch wider fragen können: ist das alles, ist nicht noch mehr drin, was hier nicht zu sehen ist?
Ein Rest von Verschlossenheit scheint immer zu bleiben. Was ist das für eine Verschlossenheit? Ein wenig ist das die Frage, was das denn ist: ein Bild – denn diese Verschlossenheit hat mit der bildnerischen Tätigkeit selber zu tun. Ein wichtiger Umstand darin ist: die Malerin trifft da keine einsamen Willkürentscheidungen, sie antwortet vielmehr auf die Forderungen des Bildes. Ihre Erfahrung ist, dass ab einem gewissen Stand der Arbeit das Bild ein Eigenleben entfaltet – sie als Malerin reagiert dann lediglich darauf, das schließliche Resultat hängt also nicht allein von ihrem Willen ab, es wird unvorhersehbar.
In diesem Fall hieß die Forderung des Bildes offenbar (frei übersetzt): Der Deckel bleibt zu. – Offenbar geht es gerade um Fülle, denn in einem verschlossenen Kästchen ist unendlich viel mehr enthalten als in einem geöffneten. Ein geöffnetes Kästchen würde die Einbildungskraft des Betrachters einschränken, jetzt kann er dagegen fragen, sind es Perlen, sind es Stoffe, sind es Spielsachen, sind es Fotos, die sich darin befinden? Seiner Einbildungskraft sind nun nicht vorschnell Grenzen gesetzt – und das ist ein ungeheuer humanes Element.
Nicht nur, dass das Kästchen verschlossen ist, sondern dass es auch noch von dem halb durchsichtigen, luftig bewegten Vorhang sacht verschleiert wird, das beflügelt die Einbildungskraft und die Neugier erst recht. Zudem steht es im Schatten. Ihm gegenüber der Teppich, vom licht so stark aufgehellt, dass kaum Details eines möglichen Musters mehr zu sehen sind Ein unübersehbarer Kontrast zu dem Ding im Schatten – und doch eine ähnliche Zurückhaltung wie beim geschlossenen Kästchen: was hätte man nicht alles auf dieser jetzt freien Fläche malen und ausbreiten können… wenn man gewollt hätte und nicht auf die Forderungen des Bildes geachtet hätte, wie Ka Bomhardt das getan hat.
Was sind das für Forderungen? Sie zielen darauf, dass das Bild in einer bestimmten Weise Bild wird – und die die Dinge spielen darin eine maßgebende Rolle.
Was hat es mit den Dingen in K.B. Arbeiten auf sich? Um einer Antwort auf diese Frage näher zu kommen, möchte ich auch an die Rauminstallation erinnern, obwohl hier keine aufgebaut ist. (Verweis auf den Katalog: Dubletten, Karlsruhe 1996, mit Spiegel, Tisch, Vorhang und einer „Motte“ aus zwei Lampenschirmen.) Nicht nur die Lampenschirme zeigen: Nicht immer sind diese Dinge an ihrem gewohnten Ort. Eigenwillig scheinen sie sich entfernt zu haben aus einem identifizierbaren Zusammenhang, sie erzählen keine vertraute Geschichte.
Es sind späte Nachfahren der Dinge, die einmal zu Beginn des letzten Jahrhunderts, im Dadaismus, den Aufstand geprobt haben. Sie erinnern sich vielleicht an den Film von Hans Richter: Der Vormittagsspuk, aus dem Jahr 1927/28. Dieser Film zeigt den Aufstand von Hüten, Tassen, Krawatten und was sich sonst noch so „Ding“ nennt. Es ist ein Aufstand gegen den Menschen und vollzieht sich, indem die Dinge sich dem Menschen entziehen. Pünktlich um 10 Uhr, als sei es in einer konspirativen Sitzung beschlossen worden, erheben sie sich.
Die Hüte fliegen von den Köpfen, die Krawatten lösen sich vom Hals, die Tassen rollen vom Tisch – und natürlich beginnt sofort die menschliche Verfolgungsjagd. Besonders anschaulich wird die Verfolgungsjagd vorgeführt im vergeblichen Greifen nach dem Hut. Immer wieder wird stoßweise vom Wind fortgeweht und über Zäune und Gräben gelenkt.
Von 10 – 12 Uhr, das ist augenscheinlich die Zeit des Dadaismus selber. Er dauerte nur eine kurze Zeit, aber er hat doch etwas in Bewegung gebracht, wenn es darum geht, das Verhältnis des Menschen zu den Dingen in eine anderes Licht zu rücken. Im Grunde ist es die Zeit der Kunst: für Augenblicke etwas zu realisieren, in dem deutlich wird, dass der Mensch die Dinge durchaus nicht nur beherrscht, sondern dass er angewiesen ist auf sie, dass sie ihn sogar in seiner Arbeit anregen und auf etwas bringen können, woran er vorher gar nicht gedacht hat. Sie sind eine Quelle der Inspiration.
Fundstücke werden plötzlich wichtig, Dinge, die aus allen Funktionszusammenhängen heraus gefallen sind, die oft schon im Sperrmüll gelandet sind, denen man ansieht, dass sie sie viel erlebt haben, die jetzt aber ganz neu zu erzählen beginnen, (eine Geschichte, die nicht in ihrer Vergangenheit aufgeht) sie zeigen nun, wie befreit , eine überraschende Qualität, nämlich die, unsere Einbildungskraft in Bewegung zu setzten.
Von einem spektakulären Aufstand der Dinge, wie im Dadaismus, kann man angesichts der Arbeiten von K.B. sicher nicht mehr sprechen, sie sind stiller, revolutionäres Pathos liegt ihnen fern. Aber hin und wieder ist es doch so, als hätte ein aufmüpfiges Zimmermädchen in einem stillschweigenden Einverständnis mit den Dingen listig ein Arrangement geschaffen, das eher einer surrealen Situation entspricht, als dass wir es darin gemütlich machen könnten. Dabei sind es Dinge, die auf den ersten Blick durchaus Gemütlichkeit versprechen, ein Teppich, ein Sofa, eine Lampe, oder, wie in der schon erwähnten Installation: Lampenschirme, ein Spitzendeckchen.
Eine ein wenig angestaubte Gemütlichkeit, sicher – aber irgendwie fühlt man sich angesprochen, schön hier, möchte man sagen – doch ganz ist dem Frieden nicht zu trauen, man entdeckt, was das aufmüpfige Zimmermädchen angestellt hat: da liegt ein Spitzendeckchen nicht auf dem Tisch, es liegt vielmehr auf dem Boden und der Tisch steht auf ihm. Und dann die Beine des Tisches – von einem wirklichen Tisch scheinen sie nicht zu stammen …
So könnte man fortfahren. Überall entdeckt man solche „Unstimmigkeiten“. Dabei kann man dem Zimmermädchen einen Sinn für Ordnung nicht absprechen, alles ist fein säuberlich arrangiert und dekoriert – nur nicht so, wie wir es von den Bildern her, die wir im Kopf haben, erwartet hätten. Das Vertraute wird zu etwas Fremden. Es ist ein listiges Arrangement. Die List besteht darin, dass wir uns angesprochen fühlen – und uns doch nicht in dem Arrangement einrichten können. Und worauf zielt diese List? – macht sich das Zimmermädchen nur einen Spaß mit uns? Die List zielt darauf, wie wir wohnen, sicher – es sind fast immer Interieurs, denen wir begegnen.
Die Fundstücke, die K.B. mit Vorliebe verwendet – wer kennt sie nicht, diese Lampenschirme und Kronleuchter, die einmal unsere Wohnkultur prägten – unsere, aber auch die unserer Tante und die unseres Nachbarn. Sie stammen aus Serienproduktionen, die unsere Wohnkultur stark uniformiert hatten. ( Auch der Wohnungsbau gefiel sich lange darin, den Menschen in Hochhäusern einen nahezu identischen Wohnraum zu verschaffen.) In den Installationen und Bildern verbreiten sie jetzt aber durch das Alter, durch die Erinnerungen, die sie in uns wachrufen und durch die spielerischen Gruppierungen, einen Charme, der den Muff, der sie oft umgab, vergessen lässt. Hier leben sie richtig auf. – Mit einstigen Massenprodukten etwas Ungewöhnliches und Überraschendes gestalten – was ist das Besondere daran?
Wenn wir Lampen aufhängen, Teppichen, Tischen oder Regalen einen Platz geben, wenn wir Küche und Bad einräumen, dann geschieht immer auch etwas anderes neben der möglichen Erleichterung bestimmter Tätigkeiten und manchmal ziehen wir dies andere auch bewusst der bloßen Zweckdienlichkeit vor: wenn wir das an einer Einrichtung spüren, dann reden wir von einer „schönen Wohnung“.
An der Wohnung kann man sehen, dass das Schöne nicht, wie wir gewöhnlich glauben, ein bloßer Zusatz, ein bloßer Schmuck ist. Das Mehr, das bei der Wohnungseinrichtung über die Zweckerfüllung hinausgeht, das Schöne, das macht den Charakter der Wohnung aus, ein Ort zu sein. Ein Ort, an dem wir uns gerne aufhalten, essen und schlafen können – ja, aber wo wir auch lesen und träumen oder mit anderen Menschen gesellig zusammen sein können.
Das sind die Arbeiten von K.B.: Orte. Sie sind Orte nicht schon dadurch, dass die Dinge , die sie ins Spiel bringt, aus dem Zweckzusammenhang herausgerückt sind – wie das gestickte Deckchen auf dem Fußboden – das allein reicht natürlich nicht, - dafür, dass ein Ort entsteht, sind die bildnerischen Faktoren entscheidend, die Proportionen , die Gewichte, die Beziehungen der Dinge. Das sind die Forderungen die das Bild stellt und auf die die Künstlerin achten muß.
Selbst in den Installationen fällt auf, wie stark bei K.B. die internen Beziehungen unter den Dingen sind: die Dinge wirken nicht im Raum verstreut, sie wirken aufgeräumt. Auch in ihnen ist derselbe bildnerische Geist am Werk, wie in den Bildern, und sie erhalten dadurch auch einen gewissen bildhaften Charakter, selbst wenn sie – anders als die Bilder – betretbar erscheinen.
In den Bildern hier sind die einzelnen Dinge oft abgeschnitten (manchmal so stark, dass sie gar nicht mehr zu erkennen sind )- das betont die Flächenhaftigkeit der verbliebenen Teile und verstärkt die Plastizität der Bildfläche. Was die einzelnen Gegenstände dabei an Dinglichkeit verlieren, gewinnt das Bild als ganzes hinzu, das Bild selber gewinnt eine kompakte Dinglichkeit. Auch darauf also zielen die Forderungen des Bildes, diese kompakte Dinglichkeit zu gewinnen, Vielleicht ist es das, was Ka Bomhardt hin und wieder als schwer empfindet – aber darin gründet auch die ungeheure Präsenz, die das Bild für den Betrachter gewinnt.
Was in der künstlerischen Arbeit zustande kommt, das geht nicht auf in der Aufzählung einzelner Teile, der unterschiedlichen Formen und Konstellationen, es ist ein Ganzes. Das ist ein Teil der List, die hier am Werke ist: Die Gebilde gewinnen eine Qualität, die über das hinausgeht, was man im einzelnen benennen kann, eine Qualität, die uns aber anspricht; irgendwie haben wir das sichere Gefühl: das geht uns an – ohne dass wir genau sagen könnten, was es denn ist, was uns da anspricht. Das äußert sich manchmal schlicht darin, dass wir wieder zu bestimmten Bildern oder Installationen zurückgehen, sie noch einmal sehen wollen. Vielleicht in der Hoffnung, es bestimmter zu erkennen, was uns da abgerührt hat – (das ist unsere stille Frage nach dem, was in dem Kästchen ist ).
Die Malerin muß auf die Forderungen achten, die sich in den verschiedenen Stadien der Arbeit an dem Bild herauskristallisieren. Sie kann dem Bild nicht einfach ihren Willen aufzwingen. Darin spiegelt sich der Sachverhalt, dass Kunst sich nicht erzwingen lässt, es gibt keine Regel, nach der man sie herstellen kann. Wie viele Künstler haben nicht davon geträumt, endlich eine Regel zu finden, ein Verfahren, das die Arbeit erleichtert.
Es gibt eine solche Regel nicht – man muß sich auf eine Anstrengung einlassen, die keinen Durchbruch verspricht, die einem klar macht, dass man es mit etwas zu tun hat, was man nicht erzwingen kann – und dass man nur in der Anerkennung dieses Sachverhalts möglicherweise ein paar Schritte weiterkommen wird.
Das Geheimnis der Malerei, der künstlerischen Arbeit, das läßt sich nicht lüften – dieses Schatzkästchen bleibt verschlossen, ein Schlüssel ist nicht auffindbar. Aber gerade weil sich hier nichts beherrschen, nichts endgültig in den Griff bekommen lässt, können die Dinge und die Bilder, die in diesem tapferen Weitermachen entstehen, so witzig, so frisch und so sprechend sein, wie wir es hier sehen können.
Die Bilder und Installationen von K.B. zeigen, dass Dinge eigene Sprache haben können, eine Sprache die nur sehr locker unseren Zweckvorstellungen folgt, „man muß die Dinge nur machen lassen“ (Kästner). Und Künstlerinnen wie Ka Bomhardt sind solche Menschen, die die Dinge machen lassen. Dazu hilft eben auch, die Dinge ins Bild zu bringen, da sind sie erst einmal (relativ) sicher vor den üblichen Zugriffen und sie gewinnen eine Gegenwart für uns, wie wir sie sonst gar nicht wahrnehmen würden.
Erblickten wir diese Dinge in einer Ecke unserer Wohnung, würden wir sie vielleicht gedankenlos oder genervt beiseite räumen. Oder wir würden das Kästchen öffnen – aber hätten wir dann, wenn die Seite der Dinge wahrgenommen, die das Bild uns zeigt? Dass sie nämlich dann, wenn sie nicht so zugänglich sind, wenn wir ihre Verschlossenheit akzeptieren, sie nicht so zugänglich sind, wenn wir ihre Verschlossenheit akzeptieren, sie unsere Einbildungskraft viel stärker bewegen. Dass sie dann eine viel mächtigere Gegenwart für uns bekommen, so sehr, dass sie ( wie Kant es so wunderbar den schönen Dingen zugeschrieben hat) weil sie in uns „ das Gefühl der Lust“ erzeugen, „in die Welt zu passen“.
- So viel zu der Bemerkung von Ka, wissen zu wollen, was in dem Kästchen ist…
Dorothée Bauerle-Willert - Abenteuer des Sehens
Ka Bomhardt
Abenteuer des Sehens
We can be heroes. We‘re nothing. And nothing will help us. Maybe we‘re lying. Then you better not stay. But we could be safer. Just for one day.
David Bowie
Wie hängt das alles miteinander zusammen? Ka Bomhardts mäanderndes Werk durchquert souverän Medien und Räume, Wirklichkeiten, Projektionen. Ihre vielfältigen Arbeiten weisen immer auch auf Verschlingungen von Richtungen, Zielen und Zeiten, sie bilden ein Netzwerk bewegter und beweglicher Bilderwelten, öffnen jeweils Zwischenräume zwischen den einzelnen Bildetappen, lassen Elemente sich berühren, sich wieder voneinander trennen. Vielleicht zeigt sie damit „die uns mit der Welt verknüpfenden Fäden auf, um sie erscheinen zu lassen.“ Alles Wirkliche ist ein Gewebe, und wir selbst schießen zwischen den Fäden hin und her. Ka Bomhardts Arbeiten eröffnen ein Spiel der Wahrnehmung, mit der Wahrnehmung zwischen Realem und seiner Repräsentation, zwischen unterschiedlichen Universen, schlagen Haken, bahnen Wege, die Sehmöglichkeiten subtil miteinander verzahnen.
Mit furchtloser Behutsamkeit setzt Ka Bomhardt die lange verpönte Pastellmalerei ein, ein Medium, das mehr einer graziösen, pudrigen Frauenkunst, der Spielerei mit der verführerischen Anmut im Blütenstaub des Pigments zugeschlagen wurde. Einer vermeintlichen Frivolität, die vielleicht darin vermutet wird, dass diese Technik zwischen Malerei und Zeichnung siedelt, die Begrenzungen der Medien in aller Freiheit auflöst zu einem Dazwischen, in dem sich der zeichnerische Strich mit malerischer Dichte, feste Stofflichkeit mit zarter, den papiernen Bildgrund aktivierender Transparenz verbindet. Im Pastell entsteht ein fragiles Bildgeschehen, das Vergänglichkeit und Verschwinden in der zerbrechlichen Materialität spürbar hält. Die Farbpartikel liegen ja beim Pastell nur lose auf, können bei jeder Erschütterung ab- und zu Staub zerfallen. Es ist gerade diese Unvollkommenheit, die Flüchtigkeit, der Samt von Schmetterlingsflügeln, der die Pastell-Zeichnung so zauberhaft und unwahrscheinlich erscheinen lässt, im Zwischenreich zwischen Sein und Schein.
In Ka Bomhardts großformatigen Pastellen wird der Darstellungsprozess zu einer materiellen Berührung, in dem sich Bild und Gegenstand auf einander zubewegen, beide verschmelzen für einen Augenblick. Die Bildfläche wird zur Membran, wo unterschiedliche Bewegungen aufeinander treffen, sich berühren. Körperlichkeit, eine Vase, ein Stuhl, ein Boot wird verschoben, übertragen und ausgetauscht. Die offenen Bildräume der Objekte werden zu Bühnen, die wundersame Kreuzungen von Exkorporation und Inkorporation erst inszenieren. Reale Körper werden im Bild entkörpert, im Gegenzug verkörpert sich das Bild, rätselhaft und klar. In Ka Bomhardts eigenwilligem Einsatz dieser Technik wird die Direktheit des Mediums, bei dem der Künstler die Farbe in Händen hält, im gleichen Moment Farbe und Linie setzt und zu einem oszillierenden Verfahren verschmilzt, offenbar. Malen als Darstellung eines Gegenstands und Malen als Bedecken der Bildfläche scheinen fast konfliktiv aneinandergeraten, auseinandertreten, zugleich – im Färben, im Einreiben – beginnen Farbmaterie und dargestellte Stofflichkeit, gezeigte Tätigkeit und Malerei/Zeichnung ineinander zu fließen.
In Ka Bomhardts Werk durchdringen sich Formen und Gattungen, spiegeln sich, transportieren sich Stoffe auf unterschiedliche Weisen weiter und manchmal in Schleifen und Schlaufen zu ihren Ursprüngen zurück. In einem weiten Sprung können die Pastelle zu der Werkgruppe der Bezüge in Bezug gesetzt werden. Seit je wurde die Pastelltechnik auch mit dem Vorgang des Färbens von Textilien verglichen, mit Stoff und Textur, mit der Überschneidung von Taktilität und Visualität. In den Stoffbildern der Künstlerin beginnt zwischen der Grundfläche des Bildes und der Wand, zwischen den Flächen und den Objekten ein metonymisches Spiel. Vertiefte Perspektive und Rückkehr an die Oberfläche ergeben einen flirrenden Dialog, der sich mit Lücken und Leerstellen, mit Verzerrungen und Spiegelungen befasst. Das Grundmuster des Stoffes kann über die gerahmte Bildfläche hinaus in den Raum, auf die Wand expandieren; ein Muster wird wiederholt, vergrößert, moduliert – ein Anderes. Zeigen sich nicht in der Konfektion, in der serienmäßigen Herstellung von Textilien auch die konfektionierten Sehnsüchte der Zeit? Schon in dem Wort „Bezug“ steckt ja mancherlei, es kann eine wechselbare Umhüllung bedeuten, eine Relation oder das Erwerben und Erhalten. Es ist, als ob in Ka Bomhardts Bezügen die Wortbedeutungen untersucht, dekliniert und wiederum in Beziehung gesetzt werden. Dinge werden umhüllt, aufeinander bezogen, wenn das changierende Moiré einer Kaffeekanne vergrößert als Bild wiederkehrt, erworben, erhalten in den Fundstücken, die im Werk immer wieder auftauchen und mitunter geschieht alles zugleich.
Immer öffnen die Arbeiten einen Zwischenraum zwischen Betrachter und Werk, zwischen Werk und Raum, zwischen Denken und Anschauung. Sie bilden ein Transitorium, das unbestimmt bleiben muss, das auf beiden Seiten schwingt, im Dazwischen oszilliert. Dieser Zwischenraum gehört weder gänzlich zum Subjekt noch gänzlich zum Objekt der Wahrnehmung, er changiert unaufhörlich zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit, zwischen Aktiv und Passiv, zwischen Subjekt und Objekt. Und so öffnen sich in der Entgrenzung von äußerem und innerem Wahrnehmungsraum, in der Verlängerung der Sinneseindrücke hinein in den Bereich des Imaginären Spielräume des Sehens und des Denkens. In diesem Dazwischen spielen die Serien, sie handeln von Unterbrechungen und Leerstellen, von Zäsuren, vom Ungreifbaren, von Unbesetztem. Zwischenräumlichkeit als dritter Ort strukturiert im Spiel von Interaktionen und Durchblicken, im Miteinander von Werk und Betrachter jede Begegnung.
Die Welt ist da – in Ka Bomhardts Bilderdenken geht es nicht um ihre Verdoppelung, sondern um die Herstellung von Eigenwelten, die gerade dadurch, dass die Ausgangsmaterialien aus der Gegenwart kommen, ein Bild ergeben. Solche Inszenierungen sind Spielzüge, die Durchsichtigkeit und Zufall miteinander verknüpfen, sind freie und doch präzise Schneisen durch den Weltkoloss.
Dieses Spiel zwischen dem Realen und seiner Repräsentation und den verschiedenen ko-existierenden Universen, eröffnet neue Wege des Sehens, des Denkens. Der Bildraum und/oder der reale Raum wird zur Bühne, auf der Wahrheit und Täuschung in ihrer komplexen Verstrickung befragt werden; mit einer Art logischer Notwendigkeit springen wir von einer Unwahrscheinlichkeit zur nächsten. Was ist Wirklichkeit? Ka Bomhardts Arbeiten sind Kippfiguren, Springbilder, Inversionsbilder, die das „Aufleuchten eines Aspekts“, unvorhersehbare Wahrnehmungswechsel, Sehentscheidungen im Sinne eines „Hineintäuschen in das Wahre“ inszenieren.
In Ka Bomhardts Welt- und Kunstsicht wohnt das Erstaunen: Nichts muss so sein wie es ist, alles könnte auch anders aussehen, sich auf andere Weise vereinen, aus der Begegnung mit einem Dritten etwas Unbekanntes herausschlagen. Es geht um Entdeckungen, um die Abenteuer einer Seh- und Denklustigen, um geheime Entsprechungen, Brüche, Symmetrien, Wiederholungen. Und immer geht es um die Reflexion der Wahrnehmung, des Sichtbarwerdens und die Frage nach Distanz und Einfluss der Kunst, ihrer Evidenz und Wirkung. Die Wahrnehmung der Welt verwandelt sich zur künstlerischen Formenbildung, und wie die Entwicklung unserer Weltsicht selbst vollzieht sich die künstlerische Annäherung an ein Thema in stetem Austausch, im Wandel, in der Verwandlung eines Konzeptes in ein Bild, in kleinen Schritten und großen Sprüngen.
Wenn die Künstlerin die in Ornamenten, in Stoff- und Stickmustern vorgegebenen Wiederholungs-Symmetrien offenlegt, so werden daraus Werkzeuge des Sehens: das Mostrare/Zeigen, das im Wort Muster steckt, weitet sich zum Sich-Zeigen im Prozess des Sehens. Zugleich ist Symmetrie der Zauberkasten der Natur: Die Blüten der meisten Pflanzenarten sind drehsymmetrisch, Orchideen, obwohl unbelebt sind spiegelsymmetrisch, kugelsymmetrisch ist das Ei, die Pusteblume. Eine geheimnisvolle Handschrift der Natur, in der sich Ästhetik als eine Erkenntnis durch die Sinne zeigt. All dies kann auftauchen: Wenn Ka Bomhardt ein Bett mit Pflanzen besiedelt, Pflanzen mit ihren eigenen Abbildern, Möbelstücke oder auch Hauswände mit nur schattenhaft anwesenden Topf- und anderen Pflanzen zusammenbringt, dann werden in dieser eigenwilligen ars combinatroria natur- und menschengemachte Entsprechungsverhältnisse noch einmal irritierend miteinander kombiniert: Mit einer Gabe der seltsamen Sicht inszeniert Ka Bomhardt Denk- und Sehdrehungen, die auch als Wechselsätze auf die ständige Permutation der Welt hinweisen.
Wirklichkeiten und Erinnerungen sind elastisch, wandelbar. Ka Bomhardts Werk stellt Fragen, die das Wesen der Dinge betreffen, ihre Funktion, ihren Status, ihre Qualität, ihre Schönheit. Mit Scherz, Ironie und tieferer Bedeutung versucht sie Gegenwärtigkeit einzufangen. Und in diesen Rätsel-Geschichten scheinen oft zwei ganz gegensätzliche Dimensionen zusammenzufließen, die Seinsart der Dinge und die Sensibilität der Künstlerin. In den merkwürdigen Allianzen, die Ka Bomhardt herstellt, in denen sich Abstraktion und Sinnlichkeit verquicken, scheint es, als würden sich für einen Moment die Sinne und die Dinge nicht mehr bekämpfen. Subtil und listig werden Wertigkeiten thematisiert und Gegebenheiten kritisch befragt, ins Absurde getrieben, vorgeführt. Mancher dieser Spaziergänge in eine zweite Welt findet auf dem Grat zwischen Erfundenem und Vorhandenem statt. Und da besteht kein so großer Unterschied mehr zwischen einem gemalten Dauerschatten im Treppenhaus, der davon kündet dass die Welt angehalten wurde, weil er sich nicht mehr weiterbewegt und einem Pastell, in dem die Gegenstände erscheinen als wären sie belebt, verschoben zu etwas anderem hin.
Aus Ka Bomhardts Befragung der Dinge und ihres Eigenlebens, ergibt sich das Thema der Verdoppelung oder Spiegelung fast wie von selbst; die Dinge entwickeln sich von sich fort – zu sich hin. In Doppelungen findet der Blick zwei oder viele Male statt. Bei Ka Bomhardt gibt es viele Blicke: Verdoppelung im Raum, Vervielfältigung, Wiederholungen, Serien und immer auch den Übergang vom einen zum anderen. Neben allem anderen, ihrem Humor, ihrem phantasievollen Reichtum sind diese Arbeiten immer auch Verweise des Bildes auf sich selbst und ermöglichen Variation, Verwechslung, Verschiebung.
Vielleicht findet ja sowieso und überall eine “Verdopplung der Welten” statt. Verdoppelt nicht auch die Politik die Welt oder die Wissenschaft und die Ökonomie? Ka Bomhardt spiegelt und wiederholt auf vielfache Weise: verdoppelt werden Lampen, Gerätschaften, Muster, Bilder, Objekte, Strukturen, Schatten, wobei sie eigenwillig mit Perspektiven, mit Verzerrungen und Modulierungen schaltet und gerade dadurch immer die symptomatischen Abweichungen der Wiedergabe bedenkt – in der Gabe der Kunst, die ein Möglichkeitsfeld herstellt. Die Kunst spielt auf vielfache Weise mit dem immer vertrackten Verhältnis zwischen Wirklichkeit und Bild, zwischen Sein und Schein, nie geht es nur um den simplen Doppelgänger. Indem sie Wirklichkeit aufgreift, modifiziert, legt die Kunst in der Reflektion und Exemplifikation des selbstgesponnenen Netzes, das unsere Kultur ausmacht Welterzeugung offen: Immer neu destruiert und konstruiert Fiktion die Weltversionen; ohne Imagination, ohne Fiktion gäbe es keine Wirklichkeit – als Umstrukturierung von Welt wird die Imagination zur integralen Voraussetzung aller Faktizität. Erst in ihrer jeweilig hergestellten Version wird die Welt sowohl wirklich als auch aktuell. Jede Weltversion wird aus dem plenum der possibilia ausgewählt und dieserart erzeugt – ohne die Möglichkeit zu wählen, sich zu entscheiden, wäre Existenz undenkbar.
Ka Bomhardts Bildergeschichten spielen im und mit dem Zwischenraum zwischen Identität und Differenz, zwischen Besonderheit und Typus, und die Transformationen, die in ihren listigen Arrangements vorgenommen werden, haben ihren Ort zwischen diesen zwei Polen, in einem Spannungsfeld, das Korrespondenz und Verstehen erst ermöglicht. „Die Existenz ähnlicher Dinge ist die Grundlage von allem. Eine Welt aus Einzelexemplaren ist unvorstellbar. Wenn nichts sich wiederholte, dann wäre auch nichts. Der Sohn von anderem Schlage als der Vater; und jeder fortwährend sich selbst unähnlich; jeder Augenblick mit jedem andern unvergleichbar, genau das wäre das Chaos.“Ähnlichkeit knüpft Beziehungen jenseits von Ideologien, öffnet im Wahrnehmen, im Denken Freiheit. Im Hin und Her zwischen Variation, Wiederholung und Modulation werden in Ka Bomhardts beweglichen, befragenden Anordnungen die extremen Pole aufgesprengt, neu zusammengefügt, um jenen Spielraum zu schaffen, den der Mensch benötigt, um nicht verschluckt zu werden: mit einem Blick auf den zugleich konservativen und transformativen Umschlagplatz Welt.
In allen Dingen, in aller Erfahrung wohnt ein Widerspruch. In unserer Welt gibt es alles nebeneinander. Ka Bomhardt arbeitet mit der Inkommensurabilität der Welt und ihrer Dinge, sie misstraut bereitliegenden Sinninseln. Ihre Bilder, ihre Räume entautomatisieren die Sichtweise der Welt. Ihre Werke stimulieren die Möglichkeitsfelder, und in ihnen eine Gegend jenseits des Blickes. Statt einer Zentralstation bildet sich ein Netz von Relationen mit je verschiedenen Anschlusstellen, Knoten- und Haltepunkten sowie Verbindungen. Die Unberechenbarkeit von visuellen Phänomenen wird nicht getilgt. Autarke Werke stehen neben Installationen, die die Atmosphäre, die Geschichten, die Struktur eines Ortes aufgreifen, wenn ein reales Treppengeländer als Schatten auf der Wand fortgeführt wird, wenn im Dialog mit dem Raum und seiner Geschichte die Dinge des Raumes selbst, die Tapeten und Einbauten zur Zeichnung der Zeichnung, innere und äußere Bilder in einen komplexen Zusammenhang gebracht werden, wenn vorgefundenes Mobiliar zu einer neuen Erzählung verwandelt wird.
Ka Bomhardt bricht mit Erwartungen, ihre Kontextvertauschungen sind Illuminationen, die ein nicht vorsortiertes Sehen der Wirklichkeit erfahrbar machen. Sinnverbände werden aufgelöst – erlöst, die Dinge mit neuem Sinn bezogen. Freimütig, heiter, aufmerksam navigiert sie durch unsere Welt der Bilder und Dinge, macht ihr Geheimnis transparent.
Im zweifarbigen Blick geraten Wahrheit und Lüge, Wirklichkeit und Phantasie, Gelingen und Scheitern ins Flirren, auf immer oder just for one day.
Dorothée Bauerle-Willert
Lichterde
Das Pastell bricht die gebundenen Pigmente seiner Farben in so materialer Direktheit auf, daß ihre hautnahe, sehend zu fühlende Substanz wie die greifbare stoffliche Wirklichkeit des in ihr gefilterten Lichts erscheinen kann. Vor allem das Rokoko und der Impressionismus haben den Effekt des täuschenden Ineinanders von Oberflächenwirklichkeit und Lichtnatur in je verschiedener Absicht: als Perfektionierung des Künstlichen, beziehungsweise als Objektivierung des Natürlichen durch das Pastell zu materieller Evidenz gebracht. Die Pastelle Ka Bomhardts sind über diese Entgegensetzung ebenso hinaus wie sie zugleich, quasi unterhalb dieser Reflexionsebene, in spielerischer Offenheit eigene, bisher unerschlossene Wahrnehmungsräume ausleuchten.
Die Farbrealität des Pastells wird in Ka Bomhardts unmittelbarem Zugriff auf seine materiale Eigenwirklichkeit zum formbaren stofflichen Widerschein des Entdeckens und der bildlichen Vergegenwärtigung von Empfindungen; damit verkehrt sich seine Funktion als selbstbezüglicher Ausdruck der Gegenständlichkeit von Licht. Dessen Gestalt realisiert sich im Schein der Magie des Indirekten, sie wird zum Zwischenlicht einer atmosphärischen Weite, die in der übermäßigen Nähe farbgegenständlicher Gewißheit die Unangreifbarkeit der Realität der Empfindungen potenziert. Diese artikulieren sich in der Irrealität des räumlichen Spannungsgefüges, das die bildnerischen Elemente, in fortschreitendem Rückblick aufeinander bezogen, sukzessive aufbauen. Die gleichermaßen spontane wie kalkulierende Entgegensetzung sowohl der innerbildlichen wie auch der bildganzen Empfindungsausdrücke organisieren die Fülle ihrer ursprünglich grundlosen Totalität.
Die gegenständliche Verortung der sich entdeckenden Empfindungen enthält zugleich eine Aussage über das Entdecken des Entdeckens. Aus der nachklingenden Weite des Grundtons bildlicher Einheiten, der Ort- und Funktionslosigkeit ihrer eigenen wie der durch sie repräsentierten gegenständlichen Identitäten, bilden sich die Bilder als Progreß unaufgelöster Spannungen: halten inne in dieser Potentialität oder transformieren die Spannung in die Assoziationen neuer, wieder austarierter Bildfelder und verschließen sie schließlich in der Symmetrie architektonischer Gewichtung. Auf diese Weise entstehen Ausdruckseinheiten, die in der Abfolge kontrastierender Behauptungen sich zu Aussagen über- beziehungsweise zueinander ergänzen und darin das Geheimnis eines im nachhinein schlüssigen, bildsprachlichen Zusammenhangs offenbaren.
Der Gestus dieser Sprache artikuliert sich im szenischen Schweigen bildnerischer Findungen, deren gegenständlicher Ausdruck eine dramaturgische Ambivalenz zwischen stillebenartiger Verschlossenheit und den handlungsbezogenen Verweisungen bühnenbildnerischer Tableaus beschwört. Die gefundenen Räume sprechen durch den inszenatorischen Gebrauch der gestalterischen Mittel; die gleichermaßen zeichnerischen wie malerischen Eigenschaften des Pastells werden bis in die jeweiligen Extreme hinein genutzt und über diese Grenzen hinaus im gestalterischen Bruch miteinander konfrontiert. Die Einheit des bildnerischen Geschehens folgt der Logik sich ineinander spiegelnder, getrennter Relationen, deren innerer Zusammenhang als Traumhorizont dissoziierter Schattenwelten und Zwischenlichtzonen erscheint. Das Gefüge ihrer äußeren Zuordnungen jedoch läßt diese dekonstruktiven Arrangements als eine neue Form des Sprechens erkennen, die Erzählung, Drama, Zustandsprotokoll und poetische Stimmung gleichermaßen realisiert.
Die Konsequenz eines bildlichen Sprechens, das die Wirklichkeit vor dem Bild als zugleich abbildlich partikularisiert wie unanschaulich integriert weiß, führt die Trennung der bildkonstituierenden Wirklichkeitsebenen bis in die explizite Sprachrealität des Bildes, den Titel, hinein fort. Dessen Verselbständigung gegenüber der ihm zugeordneten bildlichen Dimension öffnet in ihm einen wort- oder satzspezifischen Bildraum, dessen Spannungsfeld das anschauliche Bildgeschehen im Kopf des Betrachters assoziativ erweitert. Darüber hinaus vergegenwärtigt er die ebenso im Bild wie in der Sprache sich vermittelnde Irrealität gegenständlicher Gewißheit, deren Präsenz als eine Ironie des Schwebens auch dem Gewicht der bildlichen Behauptungen die nichtmetaphorische Schwere erdiger Tonigkeit nimmt.
Wolfgang Siano