Ka Bomhardt
Abenteuer des Sehens
We can be heroes. We‘re nothing. And nothing will help us. Maybe we‘re lying. Then you better not stay. But we could be safer. Just for one day.
David Bowie
Wie hängt das alles miteinander zusammen? Ka Bomhardts mäanderndes Werk durchquert souverän Medien und Räume, Wirklichkeiten, Projektionen. Ihre vielfältigen Arbeiten weisen immer auch auf Verschlingungen von Richtungen, Zielen und Zeiten, sie bilden ein Netzwerk bewegter und beweglicher Bilderwelten, öffnen jeweils Zwischenräume zwischen den einzelnen Bildetappen, lassen Elemente sich berühren, sich wieder voneinander trennen. Vielleicht zeigt sie damit „die uns mit der Welt verknüpfenden Fäden auf, um sie erscheinen zu lassen.“ Alles Wirkliche ist ein Gewebe, und wir selbst schießen zwischen den Fäden hin und her. Ka Bomhardts Arbeiten eröffnen ein Spiel der Wahrnehmung, mit der Wahrnehmung zwischen Realem und seiner Repräsentation, zwischen unterschiedlichen Universen, schlagen Haken, bahnen Wege, die Sehmöglichkeiten subtil miteinander verzahnen.
Mit furchtloser Behutsamkeit setzt Ka Bomhardt die lange verpönte Pastellmalerei ein, ein Medium, das mehr einer graziösen, pudrigen Frauenkunst, der Spielerei mit der verführerischen Anmut im Blütenstaub des Pigments zugeschlagen wurde. Einer vermeintlichen Frivolität, die vielleicht darin vermutet wird, dass diese Technik zwischen Malerei und Zeichnung siedelt, die Begrenzungen der Medien in aller Freiheit auflöst zu einem Dazwischen, in dem sich der zeichnerische Strich mit malerischer Dichte, feste Stofflichkeit mit zarter, den papiernen Bildgrund aktivierender Transparenz verbindet. Im Pastell entsteht ein fragiles Bildgeschehen, das Vergänglichkeit und Verschwinden in der zerbrechlichen Materialität spürbar hält. Die Farbpartikel liegen ja beim Pastell nur lose auf, können bei jeder Erschütterung ab- und zu Staub zerfallen. Es ist gerade diese Unvollkommenheit, die Flüchtigkeit, der Samt von Schmetterlingsflügeln, der die Pastell-Zeichnung so zauberhaft und unwahrscheinlich erscheinen lässt, im Zwischenreich zwischen Sein und Schein.
In Ka Bomhardts großformatigen Pastellen wird der Darstellungsprozess zu einer materiellen Berührung, in dem sich Bild und Gegenstand auf einander zubewegen, beide verschmelzen für einen Augenblick. Die Bildfläche wird zur Membran, wo unterschiedliche Bewegungen aufeinander treffen, sich berühren. Körperlichkeit, eine Vase, ein Stuhl, ein Boot wird verschoben, übertragen und ausgetauscht. Die offenen Bildräume der Objekte werden zu Bühnen, die wundersame Kreuzungen von Exkorporation und Inkorporation erst inszenieren. Reale Körper werden im Bild entkörpert, im Gegenzug verkörpert sich das Bild, rätselhaft und klar. In Ka Bomhardts eigenwilligem Einsatz dieser Technik wird die Direktheit des Mediums, bei dem der Künstler die Farbe in Händen hält, im gleichen Moment Farbe und Linie setzt und zu einem oszillierenden Verfahren verschmilzt, offenbar. Malen als Darstellung eines Gegenstands und Malen als Bedecken der Bildfläche scheinen fast konfliktiv aneinandergeraten, auseinandertreten, zugleich – im Färben, im Einreiben – beginnen Farbmaterie und dargestellte Stofflichkeit, gezeigte Tätigkeit und Malerei/Zeichnung ineinander zu fließen.
In Ka Bomhardts Werk durchdringen sich Formen und Gattungen, spiegeln sich, transportieren sich Stoffe auf unterschiedliche Weisen weiter und manchmal in Schleifen und Schlaufen zu ihren Ursprüngen zurück. In einem weiten Sprung können die Pastelle zu der Werkgruppe der Bezüge in Bezug gesetzt werden. Seit je wurde die Pastelltechnik auch mit dem Vorgang des Färbens von Textilien verglichen, mit Stoff und Textur, mit der Überschneidung von Taktilität und Visualität. In den Stoffbildern der Künstlerin beginnt zwischen der Grundfläche des Bildes und der Wand, zwischen den Flächen und den Objekten ein metonymisches Spiel. Vertiefte Perspektive und Rückkehr an die Oberfläche ergeben einen flirrenden Dialog, der sich mit Lücken und Leerstellen, mit Verzerrungen und Spiegelungen befasst. Das Grundmuster des Stoffes kann über die gerahmte Bildfläche hinaus in den Raum, auf die Wand expandieren; ein Muster wird wiederholt, vergrößert, moduliert – ein Anderes. Zeigen sich nicht in der Konfektion, in der serienmäßigen Herstellung von Textilien auch die konfektionierten Sehnsüchte der Zeit? Schon in dem Wort „Bezug“ steckt ja mancherlei, es kann eine wechselbare Umhüllung bedeuten, eine Relation oder das Erwerben und Erhalten. Es ist, als ob in Ka Bomhardts Bezügen die Wortbedeutungen untersucht, dekliniert und wiederum in Beziehung gesetzt werden. Dinge werden umhüllt, aufeinander bezogen, wenn das changierende Moiré einer Kaffeekanne vergrößert als Bild wiederkehrt, erworben, erhalten in den Fundstücken, die im Werk immer wieder auftauchen und mitunter geschieht alles zugleich.
Immer öffnen die Arbeiten einen Zwischenraum zwischen Betrachter und Werk, zwischen Werk und Raum, zwischen Denken und Anschauung. Sie bilden ein Transitorium, das unbestimmt bleiben muss, das auf beiden Seiten schwingt, im Dazwischen oszilliert. Dieser Zwischenraum gehört weder gänzlich zum Subjekt noch gänzlich zum Objekt der Wahrnehmung, er changiert unaufhörlich zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit, zwischen Aktiv und Passiv, zwischen Subjekt und Objekt. Und so öffnen sich in der Entgrenzung von äußerem und innerem Wahrnehmungsraum, in der Verlängerung der Sinneseindrücke hinein in den Bereich des Imaginären Spielräume des Sehens und des Denkens. In diesem Dazwischen spielen die Serien, sie handeln von Unterbrechungen und Leerstellen, von Zäsuren, vom Ungreifbaren, von Unbesetztem. Zwischenräumlichkeit als dritter Ort strukturiert im Spiel von Interaktionen und Durchblicken, im Miteinander von Werk und Betrachter jede Begegnung.
Die Welt ist da – in Ka Bomhardts Bilderdenken geht es nicht um ihre Verdoppelung, sondern um die Herstellung von Eigenwelten, die gerade dadurch, dass die Ausgangsmaterialien aus der Gegenwart kommen, ein Bild ergeben. Solche Inszenierungen sind Spielzüge, die Durchsichtigkeit und Zufall miteinander verknüpfen, sind freie und doch präzise Schneisen durch den Weltkoloss.
Dieses Spiel zwischen dem Realen und seiner Repräsentation und den verschiedenen ko-existierenden Universen, eröffnet neue Wege des Sehens, des Denkens. Der Bildraum und/oder der reale Raum wird zur Bühne, auf der Wahrheit und Täuschung in ihrer komplexen Verstrickung befragt werden; mit einer Art logischer Notwendigkeit springen wir von einer Unwahrscheinlichkeit zur nächsten. Was ist Wirklichkeit? Ka Bomhardts Arbeiten sind Kippfiguren, Springbilder, Inversionsbilder, die das „Aufleuchten eines Aspekts“, unvorhersehbare Wahrnehmungswechsel, Sehentscheidungen im Sinne eines „Hineintäuschen in das Wahre“ inszenieren.
In Ka Bomhardts Welt- und Kunstsicht wohnt das Erstaunen: Nichts muss so sein wie es ist, alles könnte auch anders aussehen, sich auf andere Weise vereinen, aus der Begegnung mit einem Dritten etwas Unbekanntes herausschlagen. Es geht um Entdeckungen, um die Abenteuer einer Seh- und Denklustigen, um geheime Entsprechungen, Brüche, Symmetrien, Wiederholungen. Und immer geht es um die Reflexion der Wahrnehmung, des Sichtbarwerdens und die Frage nach Distanz und Einfluss der Kunst, ihrer Evidenz und Wirkung. Die Wahrnehmung der Welt verwandelt sich zur künstlerischen Formenbildung, und wie die Entwicklung unserer Weltsicht selbst vollzieht sich die künstlerische Annäherung an ein Thema in stetem Austausch, im Wandel, in der Verwandlung eines Konzeptes in ein Bild, in kleinen Schritten und großen Sprüngen.
Wenn die Künstlerin die in Ornamenten, in Stoff- und Stickmustern vorgegebenen Wiederholungs-Symmetrien offenlegt, so werden daraus Werkzeuge des Sehens: das Mostrare/Zeigen, das im Wort Muster steckt, weitet sich zum Sich-Zeigen im Prozess des Sehens. Zugleich ist Symmetrie der Zauberkasten der Natur: Die Blüten der meisten Pflanzenarten sind drehsymmetrisch, Orchideen, obwohl unbelebt sind spiegelsymmetrisch, kugelsymmetrisch ist das Ei, die Pusteblume. Eine geheimnisvolle Handschrift der Natur, in der sich Ästhetik als eine Erkenntnis durch die Sinne zeigt. All dies kann auftauchen: Wenn Ka Bomhardt ein Bett mit Pflanzen besiedelt, Pflanzen mit ihren eigenen Abbildern, Möbelstücke oder auch Hauswände mit nur schattenhaft anwesenden Topf- und anderen Pflanzen zusammenbringt, dann werden in dieser eigenwilligen ars combinatroria natur- und menschengemachte Entsprechungsverhältnisse noch einmal irritierend miteinander kombiniert: Mit einer Gabe der seltsamen Sicht inszeniert Ka Bomhardt Denk- und Sehdrehungen, die auch als Wechselsätze auf die ständige Permutation der Welt hinweisen.
Wirklichkeiten und Erinnerungen sind elastisch, wandelbar. Ka Bomhardts Werk stellt Fragen, die das Wesen der Dinge betreffen, ihre Funktion, ihren Status, ihre Qualität, ihre Schönheit. Mit Scherz, Ironie und tieferer Bedeutung versucht sie Gegenwärtigkeit einzufangen. Und in diesen Rätsel-Geschichten scheinen oft zwei ganz gegensätzliche Dimensionen zusammenzufließen, die Seinsart der Dinge und die Sensibilität der Künstlerin. In den merkwürdigen Allianzen, die Ka Bomhardt herstellt, in denen sich Abstraktion und Sinnlichkeit verquicken, scheint es, als würden sich für einen Moment die Sinne und die Dinge nicht mehr bekämpfen. Subtil und listig werden Wertigkeiten thematisiert und Gegebenheiten kritisch befragt, ins Absurde getrieben, vorgeführt. Mancher dieser Spaziergänge in eine zweite Welt findet auf dem Grat zwischen Erfundenem und Vorhandenem statt. Und da besteht kein so großer Unterschied mehr zwischen einem gemalten Dauerschatten im Treppenhaus, der davon kündet dass die Welt angehalten wurde, weil er sich nicht mehr weiterbewegt und einem Pastell, in dem die Gegenstände erscheinen als wären sie belebt, verschoben zu etwas anderem hin.
Aus Ka Bomhardts Befragung der Dinge und ihres Eigenlebens, ergibt sich das Thema der Verdoppelung oder Spiegelung fast wie von selbst; die Dinge entwickeln sich von sich fort – zu sich hin. In Doppelungen findet der Blick zwei oder viele Male statt. Bei Ka Bomhardt gibt es viele Blicke: Verdoppelung im Raum, Vervielfältigung, Wiederholungen, Serien und immer auch den Übergang vom einen zum anderen. Neben allem anderen, ihrem Humor, ihrem phantasievollen Reichtum sind diese Arbeiten immer auch Verweise des Bildes auf sich selbst und ermöglichen Variation, Verwechslung, Verschiebung.
Vielleicht findet ja sowieso und überall eine “Verdopplung der Welten” statt. Verdoppelt nicht auch die Politik die Welt oder die Wissenschaft und die Ökonomie? Ka Bomhardt spiegelt und wiederholt auf vielfache Weise: verdoppelt werden Lampen, Gerätschaften, Muster, Bilder, Objekte, Strukturen, Schatten, wobei sie eigenwillig mit Perspektiven, mit Verzerrungen und Modulierungen schaltet und gerade dadurch immer die symptomatischen Abweichungen der Wiedergabe bedenkt – in der Gabe der Kunst, die ein Möglichkeitsfeld herstellt. Die Kunst spielt auf vielfache Weise mit dem immer vertrackten Verhältnis zwischen Wirklichkeit und Bild, zwischen Sein und Schein, nie geht es nur um den simplen Doppelgänger. Indem sie Wirklichkeit aufgreift, modifiziert, legt die Kunst in der Reflektion und Exemplifikation des selbstgesponnenen Netzes, das unsere Kultur ausmacht Welterzeugung offen: Immer neu destruiert und konstruiert Fiktion die Weltversionen; ohne Imagination, ohne Fiktion gäbe es keine Wirklichkeit – als Umstrukturierung von Welt wird die Imagination zur integralen Voraussetzung aller Faktizität. Erst in ihrer jeweilig hergestellten Version wird die Welt sowohl wirklich als auch aktuell. Jede Weltversion wird aus dem plenum der possibilia ausgewählt und dieserart erzeugt – ohne die Möglichkeit zu wählen, sich zu entscheiden, wäre Existenz undenkbar.
Ka Bomhardts Bildergeschichten spielen im und mit dem Zwischenraum zwischen Identität und Differenz, zwischen Besonderheit und Typus, und die Transformationen, die in ihren listigen Arrangements vorgenommen werden, haben ihren Ort zwischen diesen zwei Polen, in einem Spannungsfeld, das Korrespondenz und Verstehen erst ermöglicht. „Die Existenz ähnlicher Dinge ist die Grundlage von allem. Eine Welt aus Einzelexemplaren ist unvorstellbar. Wenn nichts sich wiederholte, dann wäre auch nichts. Der Sohn von anderem Schlage als der Vater; und jeder fortwährend sich selbst unähnlich; jeder Augenblick mit jedem andern unvergleichbar, genau das wäre das Chaos.“Ähnlichkeit knüpft Beziehungen jenseits von Ideologien, öffnet im Wahrnehmen, im Denken Freiheit. Im Hin und Her zwischen Variation, Wiederholung und Modulation werden in Ka Bomhardts beweglichen, befragenden Anordnungen die extremen Pole aufgesprengt, neu zusammengefügt, um jenen Spielraum zu schaffen, den der Mensch benötigt, um nicht verschluckt zu werden: mit einem Blick auf den zugleich konservativen und transformativen Umschlagplatz Welt.
In allen Dingen, in aller Erfahrung wohnt ein Widerspruch. In unserer Welt gibt es alles nebeneinander. Ka Bomhardt arbeitet mit der Inkommensurabilität der Welt und ihrer Dinge, sie misstraut bereitliegenden Sinninseln. Ihre Bilder, ihre Räume entautomatisieren die Sichtweise der Welt. Ihre Werke stimulieren die Möglichkeitsfelder, und in ihnen eine Gegend jenseits des Blickes. Statt einer Zentralstation bildet sich ein Netz von Relationen mit je verschiedenen Anschlusstellen, Knoten- und Haltepunkten sowie Verbindungen. Die Unberechenbarkeit von visuellen Phänomenen wird nicht getilgt. Autarke Werke stehen neben Installationen, die die Atmosphäre, die Geschichten, die Struktur eines Ortes aufgreifen, wenn ein reales Treppengeländer als Schatten auf der Wand fortgeführt wird, wenn im Dialog mit dem Raum und seiner Geschichte die Dinge des Raumes selbst, die Tapeten und Einbauten zur Zeichnung der Zeichnung, innere und äußere Bilder in einen komplexen Zusammenhang gebracht werden, wenn vorgefundenes Mobiliar zu einer neuen Erzählung verwandelt wird.
Ka Bomhardt bricht mit Erwartungen, ihre Kontextvertauschungen sind Illuminationen, die ein nicht vorsortiertes Sehen der Wirklichkeit erfahrbar machen. Sinnverbände werden aufgelöst – erlöst, die Dinge mit neuem Sinn bezogen. Freimütig, heiter, aufmerksam navigiert sie durch unsere Welt der Bilder und Dinge, macht ihr Geheimnis transparent.
Im zweifarbigen Blick geraten Wahrheit und Lüge, Wirklichkeit und Phantasie, Gelingen und Scheitern ins Flirren, auf immer oder just for one day.
Dorothée Bauerle-Willert