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  • Dieter Rahn – Memories

    Eröffnung der Ausstellung „Memories“ von Ka Bomhardt
 20. April 2007 im charlier, Kyffhäuser Str. Berlin.
 Rede von Dieter Rahn.
    Bei meinem Besuch im Atelier von Ka Bomhardt – vor etwa drei Wochen – standen bereits einige Bilder an der Wand, die für die Ausstellung hier im charlier vorgesehen waren. Sie standen unten auf dem Boden, sie waren nicht aufgehängt. Das ist für eine Ausstellungssituation nicht weiter verwunderlich – aber im Verlauf unseres Gesprächs gewann ich den Eindruck, dass sie Bilder überhaupt nicht gern an die Wand hängt. Irgend etwas stört sie an der Wand, etwas, was das Zusammenkommen von Bild und Wand äußerst kritisch werden lassen kann.
    Aber – und das wurde bald auch deutlich – es ist nicht die Wand allein, an der sie sich stößt. Es gibt auch etwas an den Bildern, das ihr Widerstand bietet und sie immer wieder herausfordert. Da ist vor allem das Empfinden: die Bilder seien zu verschlossen, wie verriegelt, nicht betretbar. Hat man z.B. – wie ein Kind – das Bedürfnis, eines der Dinge im Bild anzufassen, dann geht das nicht. – Das also scheinen Wand und Bild für Ka Bomhardt zunächst gemeinsam zu haben: ein stark abschließendes Moment, sie sind unzugänglich – und schwer.
    Sie hat deswegen auch immer wieder Raum-Installationen geschaffen, Installationen in denen die gewohnte Zuordnung von Wand und Bild irritiert wird. Oft ist in diesen Installationen nicht erkennbar ob etwas tatsächlich Wand oder ob etwas Gemaltes ist. Immer ist Ka Bomhardt versucht, einen Raumcharakter einschneidend zu verändern, den gewohnten Eindruck durch eine Umgestaltung der Wand völlig umzuwerfen.
    Auch hier war ein Gedanke, den Raum hinten schwarz zu streichen, damit die Bilder blitzartig nach vorne kommen, anstatt in sich zu verschließen. Sie hat in früheren Arbeiten mit Spiegelungen bearbeitet, sie hat sogar Dinge, die im Bild dargestellt waren, als Objekt vor das Bild gesetzt, quasi zum Anfassen. Alles, um das verschließende, schwere Moment von Wand und Bild zu durchbrechen. Auch wenn hier keine Installationen aufgebaut sind, Sticheleien gegen die Wand finden sie hier trotzdem, einfach darin, wie die kleinen Bilder neben den großen gehängt sind.
    Ich möchte Ihnen heute abend Gedanken vortragen, die um eine Bemerkung kreisen, die K.B. bei meinem Atelierbesuch gemacht hat. Sie hat diese Bemerkung eher so nebenher gemacht. Aber ich denke, dass sich von ihr her etwas von dem erschließt, was in diesen Arbeiten geschieht – was es etwa mit der angesprochenen Verschlossenheit der Bilder auf sich hat. Man muß in dieser Bemerkung natürlich auch einen gewissen Schalk mithören, der sie immer begleitet: mit einem verschmitzten Lächeln sagte sie (auf das Bild deutend, das Sie von der Einladungskarte her kennen und im anderen Raum sehen konnten): Ich möchte gern wissen, was in dem Kästchen ist.
    Ich möchte gern wissen, was in dem Kästchen ist. – Sie, die dieses Bild gemalt hat, äußert einen solchen Wunsch!  Mein verdutztes Gesicht hat leider nur sie gesehen, ich hätte es auch gern gesehen. Wenn sie gern wissen möchte, was in dem Kästchen ist, so dachte ich mir, hätte sie es doch in der Hand gehabt, den Deckel aufgeklappt zu malen und alle möglichen Schätze vor den Augen des Betrachters auszubreiten.
    Hätte sie es in der Hand gehabt? In gewisser Weise schon – natürlich hätte sie sich darauf versteifen können: ich male ein geöffnetes Kästchen und breite den Inhalt davor aus. Aber würde sie selbst dann, am Ende, wenn das Bild fertig ist und sie davor stände, nicht doch wider fragen können: ist das alles, ist nicht noch mehr drin, was hier nicht zu sehen ist?
    Ein Rest von Verschlossenheit scheint immer zu bleiben. Was ist das für eine Verschlossenheit? Ein wenig ist das die Frage, was das denn ist: ein Bild – denn diese Verschlossenheit hat mit der bildnerischen Tätigkeit selber zu tun. Ein wichtiger Umstand darin ist: die Malerin trifft da keine einsamen Willkürentscheidungen, sie antwortet vielmehr auf die Forderungen des Bildes. Ihre Erfahrung ist, dass ab einem gewissen Stand der Arbeit das Bild ein Eigenleben entfaltet – sie als Malerin reagiert dann lediglich darauf, das schließliche Resultat hängt also nicht allein von ihrem Willen ab, es wird unvorhersehbar.
    In diesem Fall hieß die Forderung des Bildes offenbar (frei übersetzt): Der Deckel bleibt zu. – Offenbar geht es gerade um Fülle, denn in einem verschlossenen Kästchen ist unendlich viel mehr enthalten als in einem geöffneten. Ein geöffnetes Kästchen würde die Einbildungskraft des Betrachters einschränken, jetzt kann er dagegen fragen, sind es Perlen, sind es Stoffe, sind es Spielsachen, sind es Fotos, die sich darin befinden?  Seiner Einbildungskraft sind nun nicht vorschnell Grenzen gesetzt – und das ist ein ungeheuer humanes Element.
    Nicht nur, dass das Kästchen verschlossen ist, sondern dass es auch noch von dem halb durchsichtigen, luftig bewegten Vorhang sacht verschleiert wird, das beflügelt die Einbildungskraft und die Neugier erst recht. Zudem steht es im Schatten. Ihm gegenüber der Teppich, vom licht so stark aufgehellt, dass kaum Details eines möglichen Musters mehr zu sehen sind Ein unübersehbarer Kontrast zu dem Ding im Schatten – und doch eine ähnliche Zurückhaltung wie beim geschlossenen Kästchen: was hätte man nicht alles auf dieser jetzt freien Fläche malen und ausbreiten können… wenn man gewollt hätte und nicht auf die Forderungen des Bildes geachtet hätte, wie Ka Bomhardt das getan hat.
    Was sind das für Forderungen? Sie zielen darauf, dass das Bild in einer bestimmten Weise Bild wird – und die die Dinge spielen darin eine maßgebende  Rolle.
Was hat es mit den Dingen in K.B. Arbeiten auf sich? Um einer Antwort auf diese Frage näher zu kommen, möchte ich auch an die Rauminstallation erinnern, obwohl hier keine aufgebaut ist. (Verweis auf den Katalog: Dubletten, Karlsruhe 1996, mit Spiegel, Tisch, Vorhang und einer „Motte“ aus zwei Lampenschirmen.) Nicht nur die Lampenschirme zeigen: Nicht immer sind diese Dinge an ihrem gewohnten Ort. Eigenwillig scheinen sie sich entfernt zu haben aus einem identifizierbaren Zusammenhang, sie erzählen keine vertraute Geschichte.
    Es sind späte Nachfahren der Dinge, die einmal zu Beginn des letzten Jahrhunderts, im Dadaismus, den Aufstand geprobt haben. Sie erinnern sich vielleicht an den Film von Hans Richter: Der Vormittagsspuk, aus dem Jahr 1927/28. Dieser Film zeigt den Aufstand von Hüten, Tassen, Krawatten und was sich sonst noch so „Ding“ nennt. Es ist ein Aufstand gegen den Menschen und vollzieht sich, indem die Dinge sich dem Menschen entziehen. Pünktlich um 10 Uhr, als sei es in einer konspirativen Sitzung beschlossen worden, erheben sie sich.
    Die Hüte fliegen von den Köpfen, die Krawatten lösen sich vom Hals, die Tassen rollen vom Tisch – und natürlich beginnt sofort die menschliche Verfolgungsjagd. Besonders anschaulich wird die Verfolgungsjagd vorgeführt im vergeblichen Greifen nach dem Hut. Immer wieder wird stoßweise vom Wind fortgeweht und über Zäune und Gräben gelenkt.
    Von 10 – 12 Uhr, das ist augenscheinlich die Zeit des Dadaismus selber. Er dauerte nur eine kurze Zeit, aber er hat doch etwas in Bewegung gebracht, wenn es darum geht, das Verhältnis des Menschen zu den Dingen in eine anderes Licht zu rücken. Im Grunde ist es die Zeit der Kunst: für Augenblicke etwas zu realisieren, in dem deutlich wird, dass der Mensch die Dinge durchaus nicht nur beherrscht, sondern dass er angewiesen ist auf sie, dass sie ihn sogar in seiner Arbeit anregen und auf etwas bringen können, woran er vorher gar nicht gedacht hat. Sie sind eine Quelle der Inspiration.
    Fundstücke werden plötzlich wichtig, Dinge, die aus allen Funktionszusammenhängen heraus gefallen sind, die oft schon im Sperrmüll gelandet sind, denen man ansieht, dass sie sie viel erlebt haben, die jetzt aber ganz neu zu erzählen beginnen, (eine Geschichte, die nicht in ihrer Vergangenheit aufgeht) sie zeigen nun, wie befreit , eine überraschende Qualität, nämlich die, unsere Einbildungskraft in Bewegung zu setzten.
    Von einem spektakulären Aufstand der Dinge, wie im Dadaismus, kann man angesichts der Arbeiten von K.B. sicher nicht mehr sprechen, sie sind stiller, revolutionäres Pathos liegt ihnen fern. Aber hin und wieder ist es doch so, als hätte ein aufmüpfiges Zimmermädchen in einem stillschweigenden Einverständnis mit den Dingen listig ein Arrangement geschaffen, das eher einer surrealen Situation entspricht, als dass wir es darin gemütlich machen könnten. Dabei sind es Dinge, die auf den ersten Blick durchaus Gemütlichkeit versprechen, ein Teppich, ein Sofa, eine Lampe, oder, wie in der schon erwähnten Installation: Lampenschirme, ein Spitzendeckchen.
    Eine ein wenig angestaubte Gemütlichkeit, sicher – aber irgendwie fühlt man sich angesprochen, schön hier, möchte man sagen – doch ganz ist dem Frieden nicht zu trauen, man entdeckt, was das aufmüpfige Zimmermädchen angestellt hat: da liegt ein Spitzendeckchen nicht auf dem Tisch, es liegt vielmehr auf dem Boden und der Tisch steht auf ihm. Und dann die Beine des Tisches – von einem wirklichen Tisch scheinen sie nicht zu stammen …
    So könnte man fortfahren. Überall entdeckt man solche „Unstimmigkeiten“. Dabei kann man dem Zimmermädchen einen Sinn für Ordnung nicht absprechen, alles ist fein säuberlich arrangiert und dekoriert – nur nicht so, wie wir es von den Bildern her, die wir im Kopf haben, erwartet hätten. Das Vertraute wird zu etwas Fremden. Es ist ein listiges Arrangement. Die List besteht darin, dass wir uns angesprochen fühlen – und uns doch nicht in dem Arrangement einrichten können. Und worauf zielt diese List? – macht sich das Zimmermädchen nur einen Spaß mit uns? Die List zielt darauf, wie wir wohnen, sicher – es sind fast immer Interieurs, denen wir begegnen.
    Die Fundstücke, die K.B. mit Vorliebe verwendet – wer kennt sie nicht, diese Lampenschirme und Kronleuchter, die einmal unsere Wohnkultur prägten – unsere, aber auch die unserer Tante und die unseres Nachbarn. Sie stammen aus Serienproduktionen, die unsere Wohnkultur stark uniformiert hatten. ( Auch der Wohnungsbau gefiel sich lange darin, den Menschen in Hochhäusern einen nahezu identischen Wohnraum zu verschaffen.) In den Installationen und Bildern verbreiten sie jetzt aber durch das Alter, durch die Erinnerungen, die sie in uns wachrufen und durch die spielerischen Gruppierungen, einen Charme, der den Muff, der sie oft umgab, vergessen lässt. Hier leben sie richtig auf. – Mit einstigen Massenprodukten etwas Ungewöhnliches und Überraschendes gestalten – was ist das Besondere daran?
    Wenn wir Lampen aufhängen, Teppichen, Tischen oder Regalen einen Platz geben, wenn wir Küche und Bad einräumen, dann geschieht immer auch etwas anderes neben der möglichen Erleichterung bestimmter Tätigkeiten und manchmal ziehen wir dies andere auch bewusst der bloßen Zweckdienlichkeit vor: wenn wir das an einer Einrichtung spüren, dann reden wir von einer „schönen Wohnung“.
    An der Wohnung kann man sehen, dass das Schöne nicht, wie wir gewöhnlich glauben, ein bloßer Zusatz, ein bloßer Schmuck ist. Das Mehr, das bei der Wohnungseinrichtung über die Zweckerfüllung hinausgeht, das Schöne, das macht den Charakter der Wohnung aus, ein Ort zu sein. Ein Ort, an dem wir uns gerne aufhalten, essen und schlafen können – ja, aber wo wir auch lesen und träumen oder mit anderen Menschen gesellig zusammen sein können.
    Das sind die Arbeiten von K.B.: Orte. Sie sind Orte nicht schon dadurch, dass die Dinge , die sie ins Spiel bringt, aus dem Zweckzusammenhang herausgerĂĽckt sind – wie das gestickte Deckchen auf dem FuĂźboden – das allein reicht natĂĽrlich nicht, – dafĂĽr, dass ein Ort entsteht, sind die bildnerischen Faktoren entscheidend, die Proportionen , die Gewichte, die Beziehungen der Dinge. Das sind die Forderungen die das Bild stellt und auf die die KĂĽnstlerin achten muĂź.
    Selbst in den Installationen fällt auf, wie stark bei K.B. die internen Beziehungen unter den Dingen sind: die Dinge wirken nicht im Raum verstreut, sie wirken aufgeräumt. Auch in ihnen ist derselbe bildnerische Geist am Werk, wie in den Bildern, und sie erhalten dadurch auch einen gewissen bildhaften Charakter, selbst wenn sie – anders als die Bilder – betretbar erscheinen.
    In den Bildern hier sind die einzelnen Dinge oft abgeschnitten (manchmal so stark, dass sie gar nicht mehr zu erkennen sind )- das betont die Flächenhaftigkeit der verbliebenen Teile und verstärkt die Plastizität der Bildfläche. Was die einzelnen Gegenstände dabei an Dinglichkeit verlieren, gewinnt das Bild als ganzes hinzu, das Bild selber gewinnt eine kompakte Dinglichkeit. Auch darauf also zielen die Forderungen des Bildes, diese kompakte Dinglichkeit zu gewinnen, Vielleicht ist es das, was Ka Bomhardt hin und wieder als schwer empfindet – aber darin gründet auch die ungeheure Präsenz, die das Bild für den Betrachter gewinnt.
    Was in der künstlerischen Arbeit zustande kommt, das geht nicht auf in der Aufzählung einzelner Teile, der unterschiedlichen Formen und Konstellationen, es ist ein Ganzes. Das ist ein Teil der List, die hier am Werke ist: Die Gebilde gewinnen eine Qualität, die über das hinausgeht, was man im einzelnen benennen kann, eine Qualität, die uns aber anspricht; irgendwie haben wir das sichere Gefühl: das geht uns an – ohne dass wir genau sagen könnten, was es denn ist, was uns da anspricht. Das äußert sich manchmal schlicht darin, dass wir wieder zu bestimmten Bildern oder Installationen zurückgehen, sie noch einmal sehen wollen. Vielleicht in der Hoffnung, es bestimmter zu erkennen, was uns da abgerührt hat – (das ist unsere stille Frage nach dem, was in dem Kästchen ist ).
    Die Malerin muß auf die Forderungen achten, die sich in den verschiedenen Stadien der Arbeit an dem Bild herauskristallisieren. Sie kann dem Bild nicht einfach ihren Willen aufzwingen. Darin spiegelt sich der Sachverhalt, dass Kunst sich nicht erzwingen lässt, es gibt keine Regel, nach der man sie herstellen kann. Wie viele Künstler haben nicht davon geträumt, endlich eine Regel zu finden, ein Verfahren, das die Arbeit erleichtert.
    Es gibt eine solche Regel nicht – man muß sich auf eine Anstrengung einlassen, die keinen Durchbruch verspricht, die einem klar macht, dass man es mit etwas zu tun hat, was  man nicht erzwingen kann – und dass man nur in der Anerkennung dieses Sachverhalts möglicherweise ein paar Schritte weiterkommen wird.
    Das Geheimnis der Malerei, der künstlerischen Arbeit, das läßt sich nicht lüften – dieses Schatzkästchen bleibt verschlossen, ein  Schlüssel ist nicht auffindbar. Aber gerade weil sich hier nichts beherrschen, nichts endgültig in den Griff bekommen lässt, können die Dinge und die Bilder, die in diesem tapferen Weitermachen entstehen, so witzig, so frisch und so sprechend sein, wie wir es hier sehen können.
    Die Bilder und Installationen von K.B. zeigen, dass Dinge eigene Sprache haben können, eine Sprache die nur sehr locker unseren Zweckvorstellungen folgt, „man muß die Dinge nur machen lassen“ (Kästner). Und Künstlerinnen wie Ka Bomhardt sind solche Menschen, die die Dinge machen lassen. Dazu hilft eben auch, die Dinge ins Bild zu bringen, da sind sie erst einmal (relativ) sicher vor den üblichen Zugriffen und sie gewinnen eine Gegenwart für uns, wie wir sie sonst gar nicht wahrnehmen würden.
    Erblickten wir diese Dinge in einer Ecke unserer Wohnung, würden wir sie vielleicht gedankenlos oder genervt beiseite räumen. Oder wir würden das Kästchen öffnen – aber hätten wir dann, wenn die Seite der Dinge wahrgenommen, die das Bild uns zeigt? Dass sie nämlich dann, wenn sie nicht so zugänglich sind, wenn wir ihre Verschlossenheit akzeptieren, sie nicht so zugänglich sind, wenn wir ihre Verschlossenheit akzeptieren, sie unsere Einbildungskraft viel stärker bewegen. Dass sie dann eine viel mächtigere Gegenwart für uns bekommen, so sehr, dass sie  ( wie Kant es so wunderbar den schönen Dingen zugeschrieben hat) weil sie in uns „ das Gefühl der Lust“ erzeugen, „in die Welt zu passen“.

- So viel zu der Bemerkung von Ka, wissen zu wollen, was in dem Kästchen ist…
     
     

     
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